"Wenn du das nicht machst, bin ich nicht mehr dein:e Freund:in"- wer kennt diesen Satz nicht aus seiner Kindheit? Ich glaube, wir haben ihn alle schon einmal gehört.
Und wir alle haben versucht, damit umzugehen: Vielleicht war es uns egal, wir haben es "drauf ankommen lassen" und geschaut, was passiert, wenn wir nicht tun, was der andere möchte. Vielleicht waren wir wütend, haben das Gegenüber zur Rede gestellt, was das soll und ihm gesagt, dass wir das nicht mit uns machen lassen?
Oder wir waren eingeschüchtert und haben wirklich immer gemacht, was die andere Person wollte, aus Angst sie zu verlieren und dass wir am Ende ganz alleine dastehen?
Im Kindergartenalter sind solche Sätze tatsächlich nichts Ungewöhnliches und schnell dahingesagt, bei Schulkindern jedoch sind diese emotionalen Erpressungen ernst zu nehmen und möglicherweise befinden sie sich mitten in einer "toxischen Freundschaft".
Ich möchte sie im Folgenden "ungesunde/schlechte Freundschaften" nennen, da ich den Begriff "toxisch" in Bezug auf Menschen und Beziehungen nicht mag (ich habe bereits einmal darüber geschrieben ;-) siehe mein Blogartikel "Therapiesprech- oder warum es so wichtig ist, dass wir unsere Sprache sensibel einsetzen").
Typische Anzeichen für solche Freundschaften sind Rücksichtslosigkeit und mangelndes Mitgefühl, wenn die Gefühle anderer Kinder verletzt werden.
Toxische Freund:innen schließen andere gezielt aus, damit sie sich schlecht fühlen, sie sprechen nur über sich selbst und zeigen kein Interesse an anderen. Sie setzen andere unter Druck und bringen sie dazu, Dinge zu tun, die sie im Grunde nicht wollen. Sie versuchen, andere Freundschaften zu verhindern, um Kinder zu isolieren und an sich zu binden. Die "Freundschaft" ist gekennzeichnet durch Manipulation, Eifersucht und Machtausübung. Es werden Signale ausgesendet, die verunsichern und gleichzeitig hoffen lassen, dass irgendwann doch noch alles gut wird.
Wir Erwachsenen haben aufgrund eigener Kindheitserfahrungen oft ein sicheres Bauchgefühl, ob eine Freundschaft unserem Kind gut tut oder nicht.
Folgende Anzeichen geben Dir weitere konkrete Hinweise, dass sich Dein Kind in einer ungesunden Freundschaft befinden könnte:
Verändertes Verhalten:
Fällt Dir auf, dass sich Dein Kind anders verhält, nachdem es Zeit mit diesem Freund oder dieser Freundin verbracht hat? Ist es weniger kooperativ, launischer oder gereizter? Erkennst Du es kaum wieder?
Geringes Selbstwertgefühl:
Ungesunde Freundschaften können das Selbstbewusstsein Deines Kindes schwächen. Es zeigt sich unsicherer, redet häufiger negativ oder wirkt besorgt? Oder lässt sich zu untypischem Verhalten verleiten oder von der Freundin oder dem Freund herumkommandieren?
Fixierung auf eine Person:
Dreht sich das Gespräch Deines Kindes immer wieder um eine bestimmte Person? Bemüht es sich ständig, dieser Person zu gefallen oder sie zu beruhigen, während es eigene Interessen oder bisherige andere Freundschaften vernachlässigt?
Rückzug:
Dein Kind meidet plötzlich Aktivitäten oder Treffen, die ihm früher Freude bereitet haben, und zieht sich zunehmend zurück.
Für Dich als Elternteil kann es sehr schwer sein, mit ansehen und aushalten zu müssen, dass Dein Kind wohl in eine ungesunde Freundschaft geraten ist. Hier ist es nur menschlich, wenn Du mit eigenen Gefühlen von Wut, Trauer, Ärger und Enttäuschung zu kämpfen hast und es Dir schwer fällt, der:dem toxischen Freund:in "neutral" zu begegnen.
Auch Enttäuschung und Unverständnis über das Verhalten Deines Kindes und die Fragen, warum es sich nicht wehrt, warum es sich das alles gefallen lässt oder das Bedürfnis, selbst einzuschreiten, sind normal.
Gleichwohl darfst Du Dir bewusst machen, dass dies Deine Gefühle sind und es für Dein Kind nicht hilfreich ist, wenn Du sie projizierst.
Vielmehr nimmst Du Deinem Kind Kompetenz und Entscheidungshoheit, wenn Du Dich- in guter Absicht- schützend vor es stellst und als Fürsprecher:in auftrittst.
Auch ein Kontaktverbot wird nicht hilfreich sein und Du riskierst, dass sich Dein Kind eher verschließt anstatt sich Dir weiter anzuvertrauen. Schlimmer noch: sich heimlich mit dem anderen Kind trifft und die ungesunde Freundschaft noch viel interessanter wird.
Zudem ist von der Kontaktaufnahme zu den Eltern des Freundes oder der Freundin abzuraten. Erfahrungsgemäß reagieren (fast) alle Eltern, auf Fehlverhalten ihres Kindes angesprochen, erst einmal abwehrend und stellen sich schützend vors eigene Kind. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Gründe für das Verhalten des Freundes oder der Freundin im Elternhaus liegen. Er oder sie mag unter Druck stehen, Erwartungen erfüllen zu müssen, eventuell ist der Umgang der Eltern untereinander nicht gleichwürdig, die Beziehung nicht stabil etc. Hier können wir nur Mutmaßungen anstellen.
Es ist nicht Deine Aufgabe, dies zu lösen und/oder das Verhalten des anderen Kindes damit zu relativieren.
Wie also kannst Du Dein Kind wirklich unterstützen?
Zuhören / ins Gespräch kommen:
Höre neutral zu, was Dein Kind erzählt und werte dabei nicht. Benenne klar, wenn das Verhalten des anderen Kindes Grenzen überschritten hat: "Das war nicht in Ordnung. Ich kann verstehen, dass dich das wütend macht."
Gemeinsame Reflexion der Situation:
Ohne dass Du das andere Kind bewertest oder schlecht machst, kannst Du Deinem Kind immer einmal wieder Fragen stellen wie: "Dir ist ganz wichtig, dass Mia Dich mag, oder?" Dann kannst Du Deinem Kind den Zwiespalt bewusst machen: "Ich habe das Gefühl, Mia ist es sehr wichtig, den Ton anzugeben und Dich für sich allein zu haben. Wie siehst Du das?" Dann darf man direkt fragen: "Gibt es Momente, in denen Du Dich unwohl fühlst?"
Bestärken:
Zeige Deinem Kind im Alltag immer wieder, dass seine Bedürfnisse und Gefühle wichtig sind. Frage interessiert nach, bestärke und ermutige es.
Vermittle Deinem Kind, dass es gut ist wie es ist und dass es nicht verantwortlich für die Gefühle und das Verhalten anderer ist.
Sensibilisieren:
Du kannst Deinem Kind von eigenen Erfahrungen mit ungesunden Freundschaften und Deinem Umgang damit erzählen. Am Besten schilderst Du konkrete Beispiele, erklärst, wie es Dir in der Situation gegangen ist und welche Konsequenzen gezogen wurden.
Neue Freundschaften ermöglichen:
Sorge aktiv dafür, dass Dein Kind Kontakt zu anderen Kindern hat und neue Freundschaften knüpfen kann. Ermögliche ihm, neue Hobbys auszuprobieren und seinen eigenen Interessen nachzugehen.
Professionelle Hilfe suchen:
Wenn die Situation besonders belastend ist oder Dein Kind stark leidet, kann es sinnvoll sein, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, um ihm zu helfen, besser mit der Situation umzugehen.
Dies gilt natürlich auch für Dich als Elternteil! Oft kann es sehr hilfreich sein, mit professioneller Unterstützung von außen auf die Situation zu blicken, eine neue Perspektive zu bekommen und dadurch anders mit der Situation umgehen zu können.
Die beste Prävention, Kinder vor ungesunden Freundschaften zu schützen, ist eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern.
Über den Umgang der Eltern miteinander und in der Familie lernen Kinder, was tragfähige Beziehungen ausmacht und wie sich Menschen, die einen gern haben, verhalten. Dass sie die Bedürfnisse und Grenzen des anderen erkennen und respektieren. Dass sie Interesse für das zeigen, was den anderen beschäftigt, Mitgefühl äußern, wenn es jemandem schlecht geht. Diese Erfahrungen helfen dabei, sich in gesunde Freundschaften zu begeben.
Meine eigene Erfahrung
Auch ich steckte als Kind einmal in einer ungesunden Freundschaft: Ich hatte in der Grundschule eine Freundin, die mich vereinnahmt und manipuliert hat und bei der ich nie wusste, woran ich bin. Sie grüßte mich vom einen auf den anderen Tag plötzlich nicht mehr, ignorierte mich, verbot mir, mit bestimmten anderen Kindern befreundet zu sein und schaffte es, dass ich bei mir die Schuld für ihr Verhalten suchte. Ich wurde zunehmend unsicherer und grübelte sehr viel darüber nach, was ich falsch gemacht haben könnte. ich war überzeugt davon, dass ich ihr immer wieder Anlass dazu gegeben hatt, mich zu bestrafen.
Glücklicherweise habe ich Eltern, die immer für mich da waren, mich bestärkt und mir vermittelt haben, dass ich gut bin wie ich bin. Irgendwie so ganz nebenbei haben sie das geschafft ohne sich in die Freundschaft einzumischen.
Danke, Mama und Papa (sie lesen mit ;-)
Und mit der Zeit ist es mir gelungen, wirklich zu glauben, dass nichts an mir "falsch" ist und ich konnte andere Freundschaften knüpfen und die ungesunde Freundschaft mit dem Mädchen beenden. Dies habe ich natürlich nicht in einem konstruktiven Vieraugengespräch getan ;-) sondern auf kindliche Art mich immer weiter von ihr entfernt und mehr mit anderen gemacht. Das war schon ok so. Ich hatte erkannt, dass es mit anderen Kindern viel spaßiger war und sie keine Bedingungen an mich und unsere Freundschaft stellten.
Übrigens bestehen die in dieser Zeit neu geknüpften Freundschaften bis heute.
Und wie heißt es so schön bei den Comedian Harmonists:
"Ein Freund, ein guter Freund das ist das Beste, was es gibt auf der Welt,
ein Freund, bleibt immer Freund und wenn die ganze Welt zusammenfällt,"
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